Meine Geschichte – Wie alles begann | Teil 12
An der sogenannten Rezeption gab ich meinen Schlüssel ab, ging an die Bar, und bestellte mehr ein Ginger-Ale. Die Bedienung an der Bar, ein freundlicher Kambodschaner, brachte mir eine Dose Ginger-Ale und ein Glas mit Eis. Das Ginder-Ale war eiskalt. Das Zischen vom Öffnen der Dose erweckte in mir ein Gefühl, das jeden Werbefachmann von Schweppes in Ekstase versetzen würde. Genau so hat man sich das wahrscheinlich bei den Werbestrategen vorgestellt. Die Erwartungshaltung und die Vorfreude auf dieses kalte Erfrischungsgetränk, die Umgebung, die Tropen, die feuchte Hitze und das heruntergekommene Hotel könnten direkt aus einem Werbespot entsprungen sein. Ich goss etwa die Hälfte des Doseninhaltes in mein Glas mit dem Eis. Der Kambodschaner hinter der Theke steckte mir noch einen Strohhalm ins Glas und ich genoss jeden einzelnen Schluck, des vor mir stehenden Erfrischungsgetränks. Da das Ginger-Ale so kalt war, konnte ich es nur in kleinen Schlucken genießen. Durch die kleinen Schlucke hatte ich das Gefühl, das jeder Schluck, bevor er sein Ziel erreichte, bereits wieder verdampft war. Nachdem ich das erste Glas und kurze Zeit später auch den zweiten Teil des Doseninhaltes vernichtet hatte, bezahlte ich, gab ein gutes Trinkgeld und verließ das Hotel. Der Temperaturunterschied war marginal, da die gesamte Vorderfront des Hotels offen war. Vor dem Hotel standen einige Tuk Tuks mit ihren Fahrern. Ich sprach einen Fahrer an und fragte ihn, was es mich kosten würde, wenn er mich an den Mekong fahren würde. Zur sogenannten „Riverside“. Aus dem Internet wusste ich, das sich dort viele gute Bistros und die Restaurants befinden. Er wollte Fünf Dollar, wir einigten uns schließlich auf zwei. Ich stieg ein und los ging die Fahrt durch das abendliche Phnom Penh.
Wir fuhren anfangs durch kleine und schmale Gassen, die für unsere Maßstäbe sehr schmutzig und heruntergekommen aussahen, bis wir an eine große viel befahrene Straße kamen. Obwohl es bereits Abend war, fühlte die Luft sich immer noch sehr warm, fast heiß an. Die Gerüche änderten sich im Sekundentakt. In der einen Sekunde roch es nach einer gut zubereiteten Mahlzeit, in der nächsten Sekunde nach einer alten vergammelten Müllhalde. In einem Moment fuhr man an einem kleinen, aber auch äußerlich sauberen Lebensmittelgeschäft oder Restaurant vorbei, in anderen Moment passierte man verwahrloste Grundstücke oder Häuser, vor denen Müll, altes vergammeltes Essen oder sonstiger Unrat abgelegt wurde. Dies konnte von niemandem unbemerkt bleiben, da der Unrat einen dem entsprechenden Geruch von sich gab, der auch jede noch so abgehärtete Nase beleidigt hätte. Die Eindrücke, die man in einem offenen Tuk Tuk gewinnt, sind mit einer Autofahrt nicht zu vergleichen. Es ist die gesamte Geräuschkulisse, gepaart mit den Gerüchen und allen anderen Sinneseindrücken, die ungefiltert auf mich einströmt. Dies gleichzeitig wahrzunehmen einzuordnen und zu verarbeiten ist durch die permanente Reizüberflutung schier unmöglich. Der dichte Verkehr und die scheinbar ungeschriebenen Verkehrsregeln, die jeder für sich so auszulegen schien, dass sie für ihn gerade passten, machten diese Fahrt mit dem Tuk Tuk durch Phnom Penh zu einem spannenden Abenteuer bei Nacht. Der Kontrast, der durch die Umgebung entstand war anfangs sehr groß, legte sich aber je näher wir dem Stadtzentrum kamen. Wir fuhren plötzlich auf große breite und saubere Straßen. Es fühlte sich an wie der plötzliche Übergang von der Steinzeit in die Moderne. Eben erst fuhren wir durch schmale, kleine und schmutzige Gassen und jetzt, zwei Minuten später, fuhren wir über einen prächtigen Boulevard, mit breiten Bürgersteigen sehr gut gepflegten Grünanlagen, verschiedenen Statuen und prachtvoll beleuchteten Denkmälern. Viele Häuser erinnerten noch, durch ihre koloniale Architektur, an Französisch-Indochina. An vielen Stellen wurde gebaut. Phnom Penh scheint im Umbruch zu sein. Einige Minuten später fuhren wir in eine Straße, in der sich auf der linken Seite viele Restaurants, Bistros und Cafés befanden. Auf der rechten Seite befand sich der Mekong, auf dem mehrere beleuchtete Boote vorbei fuhren. Ein breitangelegter Bürgersteig lud zum Spazieren gehen ein. Der Fahrer hielt an. Ich stieg aus, bezahlte ihm die Zwei Dollar, bedankte mich und ging auf ein Bistro zu.
Das Bistro hieß natürlich “Riverside Bistro“. Wie sollte es sinniger Weise auch anders heißen. Das Bistro befand sich in einem Eckhaus das ebenfalls im klassischen Kolonialstiel errichtet wurde. Der Bürgersteig vor dem Bistro ist umfunktioniert worden zu einer Terrasse und war gut besucht. Ein Tisch war noch frei und ich beschloss mich an dem freien Tisch niederzulassen. Die Bedienung brachte mir die Karte und ein kaltes Glas Wasser. Die Karte überraschte mich etwas. Ich fand dort neben einer kambodschanisch-asiatischen und internationalen Küche auch so Gerichte wie Currywurst, Schweinebraten und Sauerkraut. Jägermeister und Weißbier sind hier auch keine Unbekannten. Ich war in einem deutschen Bistro gelandet. Auch ganz nett. Da fliegt man mal eben Schlappe 12 000 km über die Vereinten Arabischen Emirate und Thailand nach Kambodscha, um dann in Phnom Penh in einem deutschen Bistro zu Abend zu essen. Das hätte ich auch einfacher haben können und viel kosten neutraler. Aber gut. Nun sitze ich hier, am Mekong und wollte mir gerade deutsches Essen und ein Hefeweizen bestellen. Nein. Stopp. Halt. Dafür hätte ich nicht so weit fliegen müssen. Also bestellte ich mir ein kambodschanisches Essen und ein kambodschanisches Angkor Bier. Während ich auf mein Essen wartete, dass ich bei einer netten kambodschanischen Bedienung bestellt hatte, kam ein kleines Mädchen vorbei und versuchte mir irgendetwas zu verkaufen. Ich schicke sie weg, doch ein paar Minuten später stand das nächste Kind an meinem Tisch und versuchte mir ebenfalls irgendwelche Bücher oder Hefte zu verkaufen. Die Kinder waren alle zwischen geschätzten 6 und 10 Jahren alt. Gleiches passierte mir auch mit älteren Kambodschanern die während der Herrschaft der Roten Khmer verstümmelt wurden oder durch Minen, Füße, Arme oder Beine verloren hatten. Im Großen und Ganzen tun einem die Leute auch leid, aber ich bin weder Mutter Teresa, noch bin ich eine Hilfsorganisation. Wenn die Menge an Menschen, die in der kurzen Zeit, in der ich dort gesessen habe, bei mir gewesen sind, von mir jeweils auch nur einen Dollar bekommen hätten, wäre ich mit Sicherheit mindestens um Dreißig bis Vierzig Dollar ärmer geworden. Wahrscheinlich mehr. Das „Nein“ sagen, bei den Kindern fällt schwer, wenn diese einen mit ihren traurigen Augen und den verdreckten Gesichtern anschauen, in dem Bewusstsein, das ein Dollar für uns nun wirklich nicht viel Geld ist. Dieses einstudierte „Do you have One Dollar please“ das meist als „One Dollar“ abgekürzt wurde, ging am Anfang ans Herz und im Laufe des Abends auf die Nerven. Das Problem jedoch ist nicht das eine Kind. Problematisch ist, das eine Kind hat Freunde, die ebenfalls in den umliegenden Restaurants um Geld betteln. Und diese Freunde haben noch mehr Freunde. Und auch diese Freunde, der Freunde, der Freunde möchte auch gerne einen Dollar. Ich habe ein paar Tische weiter gesehen wozu das führt. Da ich von Anfang an nichts gegeben habe, nahm die Frequenz der bettelnden Kinder bei mir deutlich ab. Ein paar Tische weiter saß ein älteres Ehepaar, mit erkennbar weicherem Herzen und am Ende des Abends mit einem erleichterten Geldbeutel. Da die Küche längerer Zeit benötigte, um die bestellten Speisen zu produzieren, tat mir das ältere Ehepaar nach einiger Zeit schon etwas leid. Vielleicht bekam der Küchenchef von den Kindern Provision, damit er die Speisen langsamer zubereitete. Zumindest konnte man das bei der langen Wartezeit vermuten. Das Essen selbst war reichlich und schmackhaft. Die Bedienung etwas langsam, aber das Ambiente recht nett. An jedem Tisch stand ein Ventilator, der einen ganz feinen Nebel produzierte, wodurch sich die Luft angenehm kühl anfühlte, wenn man bei über 30° von kühl sprechen kann. Der gleiche feine Nebel wurde auch mehrere Meter über unseren Köpfen hinweg versprüht, was das Klima um uns herum etwas erträglicher machte. Nachdem ich gegessen und getrunken hatte, bezahlte ich meine Rechnung, stand auf und lief noch ein wenig am Mekong entlang.
Nach ein paar hundert Metern setzte ich mich auf den Deich Und beobachtete den Schiffe, die an mir vorüber fuhren. Bei Nacht übten diese beleuchteten Schiffe eine besondere Faszination auf mich aus. Nach einiger Zeit hatte stand ich auf und ging zurück zu der belebten Straße von der ich gekommen war und schlenderte an den vielen Restaurants, Bistros und Bars vorbei. Ich sog die Atmosphäre um mich herum regelrecht auf und beobachtete meine Umgebung. Anschließend nahm ich mir ein Tuk Tuk, und fuhr zurück zum Hotel. Gleiche Verhandlung, gleicher Preis. Nur der „Wow“ Effekt war auf dem Rückweg andersherum. Von der prunkvollen Seite Phnom Penhs, zurück durch die kleinen Gassen, bis zum Hotel. Die Fahrt zurück ließ sich am besten wie eine Zeitreise beschreiben. Von der Gegenwart in die Vergangenheit mit meiner Tuk Tuk Zeitmaschine. Am Hotel angekommen, bezahlte ich die verabredeten zwei Dollar an den Fahrer, und schlenderte noch ein wenig die Straße hinunter, in der sich mein Hotel befand.

Blick von meiner Terrasse im Walkabout Hotel in Richtung des „Heart of Darknes“, Phnom Penh – Cambodia
Garküchen, kleinere Läden, ein Internetcafé und noch viele Leute auf der Straße. Langsam lief ich noch ein ganzes Stück die Straße hinunter. Beim Laufen ließ ich das heute Erlebte noch einmal an meinem geistigen Auge vorüber ziehen, merkte aber auch, dass mich die vielen heute gesammelten Eindrücke schwer beeindruckt haben. Einige Gedanken später sah ich auf der rechten Seite eine große Ansammlung von Motorrädern stehen und Musik drang an meine Ohren. Und dieses Mal war es keine kambodschanische Musik. Es klang nach westlicher Popmusik. Einige Menschen liefen draußen herum. Je näher ich kam desto deutlicher sah ich, dass sich hier viele westlich aussehende Menschen aufhielten. Durch die nächtliche Hitze und die staubige Luft der Straße hatte ich bereits wieder eine trockene Kehle. In mir reifte der Gedanke diesen Zustand kurzfristig zu beenden und ging hinein. Vor dem Betreten musste sich jeder Gast einer körperlichen Durchsuchung unterziehen. Man wird abgetastet, um zu vermeiden, dass illegale Gegenstände und Substanzen mit hinein genommen werden. Auch ich wurde abgetastet und betrat anschließend die Diskothek mit dem Namen „Heart of Darknes“. Wie ich im Nachhinein erfahren habe, eine der bekanntesten Diskotheken Phnom Penhs. Ich ging die Treppe hinunter, öffnete die Tür, ging an die Bar und bestellte mir ein Bier. Es war heiß hier. Die Musik sehr laut, aber nicht kreischend. Der Sound war gut und die Leute hatten ihren Spaß. Die Lichtanlage war gut und konnte getrost mit westlichen Standards mithalten. Die Menschen drängten sich auf die Tanzfläche. Nass geschwitzte Körper standen dicht an dicht, was aber weiterhin niemanden störte. Neben der Tanzfläche standen mehrere Billardtische an denen fleißig gespielt wurde. Es war beinahe Mitternacht und hier wurde in Nacht zum Tage gemacht. Viele westliche Ausländer trafen sich hier um Spaß zu haben. Und das taten sie. Schnell kam ich hier mit den anderen Leuten ins Gespräch. Sie kamen aus aller Herren Länder, vom Backpacker bis zum Mitarbeiter einer deutschen Hilfsorganisation. Alles traf sich hier. Um drei Uhr verließ ich das „Herz der Dunkelheit“ um zurück ins Hotel zu gehen. Als ich die Treppen wieder hinauf ging, wehte eine leichte Brise die Straße herunter. Jetzt merkte ich wie stickig und heiß es im „Heart of Darknes“ gewesen ist. Oder anders gesagt, wie schön frisch es bei 30° Außentemperatur doch seien kann. Selbst jetzt um 3 Uhr in der Nacht sind noch immer viele Leute unterwegs. Auf dem Weg zurück ins Hotel versorgte ich mich noch an einer Garküche mit ein paar Fleischspießchen, die ich noch vor dem Eintreffen im Hotel genussvoll vernichtet hatte. Auch im Hotel war die Bar noch voll. Ich trank noch ein Ginger-Ale, holte meinen Zimmerschlüssel an der Rezeption ab und ging durch das schmale steile Treppenhaus hinauf auf meine Etage.
Vor meinem Zimmer angekommen setzte ich mich noch draußen auf meine private Terrasse. Dort sitzend spürte man die Wärme die von den Bodenfliesen und den Wänden abgestrahlt wurde. Nach einer Viertelstunde stand ich auf, schaute noch einmal über die Dächer Phnom Penhs, drehte mich um und ging zurück in mein Zimmer. Vielleicht hätte ich die Klimaanlage sofort einschalten sollen, bevor ich mich draußen noch einmal auf die Terrasse gesetzt hatte. Ich schaltete den Deckelventilator und den Fernseher ein und ließ die Klimaanlage laufen. Nachdem ich mich unter der Dusche frisch gemacht hatte und mich vom Staub der Straße, der am Schweiß klebt, getrennt hatte, legte ich mich schlafen. Es war vier Uhr Nachts in Phnom Penh und 22 Uhr in Deutschland.
In Phnom Penh war ich angekommen, mein Körper, mit seiner eingebauten inneren Uhr leider noch nicht.
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